Die neue EU-Nachhaltigkeitsstrategie

Die neue EU-Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien ist die erste dieser Art seit der Chemikalienverordnung REACH. Sie wird massive Auswirkungen auf Produkte und das Produktportfolio von Chemieunternehmen haben.

In diesem Quartal legt die EU-Kommission ihre Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien vor. Diese ist Teil des Green Deals, den EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Dezember vorstellte. Die Hauptziele der neuen Chemikalienstrategie sind:

  • für eine Umwelt ohne toxische Stoffe zu sorgen (Zero Pollution),
  • unerwünschte Kombinationseffekte zu vermeiden,
  • den Rechtsrahmen für die Chemikalienpolitik zu vereinfachen,
  • mehr Transparenz bei der Chemikalienbewertung zu schaffen und den Prozess im Sinn von „eine Substanz – eine Bewertung“ voranzubringen,
  • die Produktionskapazitäten der Chemieindustrie auf nachhaltige und wettbewerbsfähige Weise zu stärken.

Das bedeutet die neue Initiative in der Praxis

Diese EU-Strategie ist die erste dieser Art seit Inkrafttreten der REACH-Verordnung 2007. Sie wird den Aufwand, den Chemieunternehmen betreiben müssen, damit ihre Stoffe allen regulatorischen Anforderungen entsprechen, gravierend beeinflussen und gegebenenfalls zur Veränderung der Produktpalette führen. Denn:

  • An bestimmte Produkte werden strengere Anforderungen gestellt, bis hin zum kompletten Verbot.
  • Für viele Substanzen wird eine komplette Neubewertung erforderlich werden, um sogenannten „ungewollten Mischungen“ Rechnung zu tragen.
  • Die Einführung einer Gefahrenklasse für die EU-weite Einstufung von endokrinen Disruptoren unter der CLP-Verordnung

„Für alle unsere Stoffe liegt bereits eine ausführliche Risikobewertung vor“, sagt Teresa Bernheim, Manager Chemicals Policy bei LANXESS (siehe auch nebenstehendes Interview). „Wir wünschen uns, dass jeder weitere Schritt der EU-Chemikalienpolitik weiter auf diesem risikobasierten Ansatz aufbaut, statt ihn auszuhebeln. Stoffe dürfen nicht pauschal aufgrund gefährlicher Eigenschaften verboten werden. Auch diese Stoffe können sicher gehandhabt werden. Es gilt, sowohl den Nutzen der Substanz als auch das erfasste und dokumentierte Risiko sowie das bewährte Risikomanagement zu betrachten. Der Blick auf die reale betriebliche Praxis ist wichtig.“

Die Politik ist gefordert

  • LANXESS begrüßt die Initiative, den Rechtsrahmen für die Chemikalienpolitik zu vereinfachen. Gerade der Ansatz „Eine Substanz – eine Bewertung“ schafft Transparenz und ist hilfreich, um Doppelbewertungen oder widersprüchliche Bewertungen je nach Land, Behörde oder Einsatzgebiet zu vermeiden.
  • Es ist zielführend, die Bewertung von endokrinen Disruptoren zu vereinheitlichen. Dies muss jedoch in einem geeigneten Rechtsrahmen erfolgen. Die CLP-Verordnung* ist hierfür das falsche Instrument.
  • Den sogenannten Mixture Assessment Factor** (MAF) als zusätzlichen Sicherheitsmechanismus einzuführen, würde das Verhältnis von Aufwand und Nutzen sprengen. Denn die vorgeschriebene Handhabung von Substanzen dient bereits dem Vermeiden ungewollter Kombinationseffekte. LANXESS lehnt daher den MAF ab.
* Die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung (CLP) von Stoffen und Gemischen ist in allen Mitgliedstaaten rechtlich bindend und unmittelbar auf alle Wirtschaftszweige anwendbar. Sie verpflichtet Hersteller, Importeure und nachgeschaltete Anwender von Stoffen oder Gemischen zur ordnungsgemäßen Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung ihrer gefährlichen Chemikalien vor dem Inverkehrbringen.
** Um das Risiko unerwünschter Kombinationseffekte in die REACH-Chemikalienbewertung einfließen zu lassen, ist ein Mixture Assessment Factor im Gespräch. Es handelt sich dabei um eine Zahl, mit der ein Schlüsselwert der Risikokalkulation multipliziert wird, um das Risiko unbeabsichtigter Chemikalienmischungen mit abzudecken.


Was sind endokrine Disruptoren?

Endokrine Disruptoren werden bereits seit Jahren debattiert. Es handelt sich um Chemikalien oder Mischungen, die die natürliche biochemische Wirkweise von Hormonen stören und dadurch beispielsweise
 
  • Wachstum, Entwicklung und Fortpflanzung schädigen oder
  • die Anfälligkeit für spezielle Erkrankungen erhöhen können.

Diese Effekte zu identifizieren ist schwierig, weil

  • nicht genug über die Funktion der Hormonsysteme und die artspezifischen Sensitivitätsunterschiede bekannt ist – daraus resultiert ein Mangel an Testmethoden.
  • Effekte zeitverzögert auftreten und
  • sich additive Effekte mit bereits in der Umwelt vorhandenen endokrin aktiven Chemikalien ergeben können

Interview mit Teresa Bernheim, Manager Chemicals Policy bei LANXESS

Welche Substanzen sind von der EU-Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien betroffen?

Die Strategie enthält viele mögliche Maßnahmen. Einige betreffen Stoffgruppen mit bestimmten Eigenschaften, zum Beispiel endokrine Disruptoren oder Stoffe, die sich in der Umwelt nicht abbauen. Der Mixture Assessment Factor**, durch den negative Auswirkungen sogenannter Chemiecocktails verhindert werden sollen, würde jedoch alle unsere Substanzen betreffen.

Und was bedeutet das für LANXESS?

Wir erstellen bereits für alle unsere Stoffe Risikobewertungen. Wie groß das Risiko ist, hängt nicht allein von der Substanz ab, sondern auch, wie sie verwendet wird, in welchen Mengen sie gebraucht wird und ob Menschen überhaupt mit ihr in Berührung kommen. Dies und viel mehr erfassen wir auf wissenschaftlicher Basis, dokumentieren es und erstellen unter anderem ausführliche Sicherheitsdatenblätter zur sicheren Handhabung bei uns im Hause sowie bei nachfolgenden Anwendern bis hin zur Entsorgung.

Wie gefährlich sind unerwünschte Chemiecocktails?

Diese zu vermeiden, etwa durch eine falsche Entsorgung, ist ein Kernpunkt der Chemikaliensicherheit, zu der Unternehmen bereits durch eine Reihe von Gesetzen verpflichtet sind. Bei der Bewertung eines jeden einzelnen Stoffes sind zusätzliche Sicherheitsfaktoren eingebaut, um besonders sensible Bevölkerungsgruppen wie Schwangere oder Kinder zu schützen. Wir und unsere Kunden handhaben die Substanzen kompetent und sicher. Die Idee, jede Substanz erneut auf den Prüfstand zu stellen, basiert nicht auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Beobachtungen. Darum lehnen wir den Mixture Assessment Factor** ab.

Wie sollte mit endokrinen Disruptoren umgegangen werden?

Wir wollen nicht, dass Menschen oder die Umwelt durch endokrine Disruptoren geschädigt werden. Deshalb arbeiten wir an Vorschlägen, wie endokrine Disruptoren effektiv reguliert werden können, ohne dass pauschale Verbote ausgesprochen werden müssen.

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