Klimaneutralität: Ziele zu haben ist gut, sie mit Plänen zu hinterlegen, ist besser
Neue Klimaziele von Ländern und Unternehmen schaffen Dynamik. Zahlreiche innovative Projekte in verschiedenen Sektoren der Wirtschaft stehen für zusätzliche Chancen. Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur (dena), verrät, welche Entwicklungen ihm Mut machen.
Erfahren Sie hier,
- was sofort passieren muss, um späte und drastische Klima-Maßnahmen zu verhindern,
- was es bringt, emissionslastige Geschäfte zu verkaufen,
- welche Veränderungen in der Landwirtschaft nötig sind,
- wie unterschiedlich Kompensationsprojekte wirken können.
Wie bewerten Sie die Klimaversprechen, die Länder und Unternehmen abgeben?
Immer mehr Akteure verpflichten sich zu handeln, und das ist ermutigend. Ob sie immer heute schon mit ausreichend guten Strategien hinterlegt sind, wird sich noch erweisen müssen. Die Beschlüsse des Pariser Abkommens zeigen sich als unumkehrbar. Energiewende und Klimaschutz sind jetzt Bestandteil vieler Programme weltweit, um Wirtschaft und Gesellschaft aus der COVID-19- und aus der Klima-Krise zu führen. Und das ist doch eine sehr vielversprechende Entwicklung.
trifft auf umfangreiche finanzielle Mittel sowie auf die verfügbaren Technologien.”
Andreas Kuhlmann,
Vorsitzender der Geschäftsführung
der Deutschen Energie-Agentur
(Foto: dena/photothek)
Welche Emissionseinsparpotenziale in Staaten und Unternehmen blieben bisher ungenutzt?
Einige Dinge sind bislang mit zu wenig Nachdruck verfolgt worden, zum Beispiel der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Steigerung der Energieeffizienz. So könnten Unternehmen in Deutschland bis zu 30 Prozent Ihres Energieverbrauchs durch typische Energieeffizienzmaßnahmen einsparen. Dazu zählt der Einsatz von Querschnittstechnologien wie hocheffiziente Motoren sowie optimierte Pumpen, Druckluft- und Lüftungssysteme. Durch solche Lösungen lässt sich in verschiedenen Branchen der Stromverbrauch deutlich senken. Auch in der Senkung des Brennstoffverbrauchs liegt noch sehr viel Potenzial. Das gilt natürlich besonders für die emerging markets, den eurasischen Raum und die Schwerindustrie in diesen Ländern. Hier stehen vor allem klassische Erneuerungsinvestitionen aus. Dadurch alleine ließen sich große Mengen Emissionen mindern und perspektivisch sogar Geld sparen.
Was sollte sofort passieren, um spätere, umso drastischere Maßnahmen zu verhindern?
Alle Akteure brauchen eine klare Linie zum Klimaneutralitätsziel. Es kann sich allerdings nicht jeder die Investitionen in teure Klimaneutralitätstechnologien leisten. Darum ist es auch jetzt noch sinnvoll, die low hanging fruits zu realisieren. Damit sind weniger hohe Investitionen in Energieeffizienz gemeint, die zwar Emissionen senken, aber keinen Quantensprung bewirken. Wir dürfen hier nicht ungerecht werden. Akteure, denen die Mittel für wichtige Klimainvestitionen fehlen, brauchen die Unterstützung der Finanzkräftigeren, damit sie Fortschritte in Richtung Klimaneutralität erzielen. Außerdem: Wir sind die, die die Märkte für grüne Produkte und Technologien schaffen müssen.
Aus welchen Industriebereichen ist ein Ausstieg erforderlich und was bedeutet das für die Wertschöpfungsketten?
Es ist unumstritten, dass wir die Kohle hinter uns lassen müssen. Wenn man klimaneutral werden will, braucht man Wasserstoff, und zwar in großen Mengen. Dafür wird es globale Märkte geben, weil kein Staat diesen Energieträger im erforderlichen Maßstab allein erzeugen kann. Das hat Auswirkungen auf die Lieferketten: An welchem Standort wird sich beispielsweise grüner Stahl mit Hilfe von Wasserstoff günstig herstellen lassen? Wir werden nach wie vor Hightech-Stahl in Deutschland brauchen. Darum sind auch hierzulande Verfahren wünschenswert, Stahl klimafreundlich zu produzieren. Dies bringt vielfältige industriepolitische Fragestellungen mit sich. Dazu gehört, wo Wasserstoff produziert wird, auf welchem Weg er importiert wird und wie Branchen mit hohem Bedarf den Umstieg schaffen, etwa die Stahl- und Chemieindustrie oder der Gütertransport.
Lassen sich unter Emissionsgesichtspunkten global verzweigte Wertschöpfungsketten in der jetzigen Form weiter aufrechterhalten – Stichwort Carbon Leakage?
Ich nehme die Sorge ernst, dass CO2-Emissionen von Ländern mit hohen Klimaschutzauflagen in Drittstaaten verlagert werden. Allerdings sind inzwischen viele Länder sehr ambitioniert – die neue US-Administration, China, die EU, um nur einige zu nennen. Daher muss es möglich sein, alle an einen Tisch zu bekommen, um Carbon Leakage zu verhindern. Es geht nur über internationale Kooperation, aber die Chance ist da. Was die Verkehrsemissionen durch globale Logistik angeht, so habe ich sehr hohe Erwartungen an so genannte Powerfuels. Das sind, neben Wasserstoff, synthetische Gase und Flüssigtreibstoffe, die durch erneuerbare Energien erzeugt werden. Dazu laufen überall auf der Welt Pilotprojekte. Und die brauchen wir, um Einsatzmöglichkeiten und Bedarf besser einzuschätzen.
Andreas Kuhlmann,
Vorsitzender der Geschäftsführung
der Deutschen Energie-Agentur
(Foto: dena/photothek)
Wenn produzierende Industrieunternehmen klimaneutral werden, indem sie emissionslastige Geschäftsfelder veräußern, was geschieht dann mit diesen?
Auf den ersten Blick sieht das nicht aus wie ein Gewinn fürs Klima. Auf den zweiten Blick könnte sich doch was ändern: Das Unternehmen kann sich ohne die belastenden Geschäftsfelder mit voller Kraft seiner Zukunftsfähigkeit widmen. Der Erwerber dieser Geschäftsfelder hat dann zwar so etwas wie einen „Bad-Bank-Charakter“. Doch dies könnte ein Weg sein, die Herausforderung konzentriert zu lösen.
Welche Veränderungen in Landwirtschaft sind erforderlich?
In unserer neuen Leitstudie zum Aufbruch in die Klimaneutralität identifizieren wir sektorenübergreifende Wege für Weichenstellungen, die jetzt passieren müssen. Das schließt Veränderungen bei der Landnutzung ein. Bedenken Sie, in Deutschland ist die Fläche zur Futtermittelproduktion so groß wie die Waldfläche. Vielversprechende Innovationen auf dem Weg zu „new foods“ sind bereits im Gange. Ein paar Beispiele: die Entwicklung von Fleischersatzprodukten, pflanzliche oder synthetische proteinbasierte Lebensmittel, Nahrungsmittelerzeugung in Städten oder methangasreduzierende Futtermittelzusätze für Rinder. Es ist an der Politik, das Potenzial dieser Neuerungen zu nutzen.
… und in der Mobilität?
Unser Verständnis von Mobilität ändert sich. Statt mit dem eigenen Auto von A nach B zu kommen, sind kombinierte Servicelösungen möglich. Was wir dafür brauchen, sind massive Investitionen in den öffentlichen Personennahverkehr. Und den Ausbau der technischen Infrastruktur für klimafreundlichen Personen- und Gütertransport.
Berücksichtigen Studien zur Machbarkeit der Klimaneutralität, dass sterbende Wälder Emissionsquellen statt -senken sind?
Ja, die Profis wissen das. Darum brauchen wir in Deutschland und der EU eine Senkenstrategie. Dabei muss es um technische und natürliche Senken gehen. Diese ist eine genauso große Herausforderung wie die Energiewende. Sie bedarf ebenso klarer Ziele, Schritte und Monitorings.
Welche wenig akzeptierten Technologien sollten Ihrer Meinung nach zum Einsatz kommen?
Ohne die CO2-Abscheidung und -Speicherung wird es nicht gehen. Dies hat selbst der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltfragen schon vor zehn Jahren formuliert. Wir benötigen solche Lösungen auch in Deutschland, nicht nur irgendwo im Ausland. Ich schließe eine hiesige CO2-Speicherung an Land oder im Meer nicht aus. Akzeptanzprobleme müssen überwunden werden. Im Übrigen stellt auch die Nutzung von CO2 eine Option dar, beispielsweise für künstliche Fotosynthese oder für Stoffkreisläufe in der Chemieindustrie.
Andreas Kuhlmann,
Vorsitzender der Geschäftsführung
der Deutschen Energie-Agentur
(Foto: dena/photothek)
Wie beurteilen Sie die Qualität heutiger Kompensationsprojekte?
Dass Unternehmen entlang ihrer Wertschöpfungsketten immer stärker auf Klimaeffekte achten und von Geschäftspartnern entsprechende Nachweise verlangen, ist sehr gut. Auf diese Weise entstehen ein gewaltiger Handlungsdruck und Dynamik. Nun gilt es, die Qualitätsstufen von Emissionsminderungsprojekten zu beschreiben. Reinem Offsetting, das heißt dem Finanzieren von externen Klimaschutzprojekten, stehen beispielsweise negative Emissionen gegenüber, das heißt die physische Entnahme von CO2 aus der Luft. Unter anderem auf diese differenzierenden Aspekte sollte bei entsprechenden Zertifikaten der Fokus gelegt werden. Denn sonst geraten Kompensationsprojekte mit einem guten realen Effekt zu Unrecht in den Verdacht des Greenwashings.
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