„Nachhaltigen Produkten gehört die Zukunft“
Interview mit Dr. Anno Borkowsky, Mitglied des Vorstands der LANXESS AG
Im neuen Zeitalter der Nachhaltigkeit gilt es, Produkte nachhaltiger zu gestalten als je zuvor – endliche Ressourcen müssen mittel- und langfristig durch organische oder kreislauffähige Alternativen ersetzt werden. Wir haben mit
Dr. Anno Borkowsky, Mitglied des Vorstands von LANXESS, über mögliche Ansätze und die Zukunft nachhaltiger Produkte gesprochen.

Herr Dr. Borkowsky, als Mitglied des Vorstands von LANXESS erleben Sie den Wandel der chemischen Industrie „hautnah“ mit. Spannende Zeiten – vor allem für Sie als Chemiker, oder?
Absolut, vielleicht sogar die spannendsten Jahre meiner Karriere. Gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Vorstand und im gesamten Unternehmen stellen wir jetzt die Weichen für die Zukunft. Jeder und jede ist daran beteiligt – von den Chemikern über die Ingenieurinnen in den Produktionsanlagen bis hin zum Verwaltungspersonal. Die Veränderungen finden praktisch überall im Konzern statt.
Besonders glücklich bin ich über die Unterstützung der in den letzten Jahren zahlreich hinzugekommenen jungen Kolleginnen und Kollegen, die das Thema Nachhaltigkeit mit viel Leidenschaft vorantreiben.
Was umfasst diese Transformation?
Schaut man sich die Welt von heute an, so liegen unsere drängendsten Herausforderungen auf der Hand:
Wir sehen uns einer Klimakrise gegenüber, die nicht nur durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Stromerzeugung oder Emissionen anderer schädlicher Gase verursacht wird. Ein Großteil des CO2 entsteht auch, wenn kohlenstoffhaltige Produkte, wie zum Beispiel Kunststoffe, nicht recycelt, sondern am Ende ihrer Lebensdauer verbrannt werden.
Um die Kehrtwende zu schaffen, muss unsere Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten klimaneutral werden und wir müssen die Wegwerfkultur beenden, die kostbare endliche Ressourcen verbraucht und in eine Sackgasse führt.
Können wir das ändern? Ja, können wir! Und es ist insbesondere die Chemieindustrie, die es kann.
Zum Beispiel lassen sich viele Moleküle, darunter auch Kraftstoffe, aus Biomasse herstellen, aus Algen beispielsweise. Und mithilfe innovativer Verfahren, wie zum Beispiel dem chemischen Recycling, können Moleküle aus Abfällen zurückgewonnen und praktisch beliebig oft wiederverwendet werden.

Wie verfolgt LANXESS dies?
Sehr aktiv, da wir uns bewusst sind, dass nicht nur die Zukunft unseres Unternehmens und unserer Branche auf dem Spiel steht, sondern die des gesamten Planeten. Wir betrachten Nachhaltigkeitsthemen aus der Perspektive einer integrierten Wertschöpfungskette. Das ist eigentlich wie bei einem Kochrezept – wir fragen uns, welche Zutaten wir benötigen und wie die einzelnen Arbeitsschritte aussehen. Anschließend beschäftigen wir uns damit, wie wir schrittweise Emissionen reduzieren, Prozesse anpassen und, wenn notwendig, Rohstoffe durch nachhaltigere Alternativen ersetzen können. Auf Grundlage sicherer und nachhaltiger Herstellungsprozesse wollen wir unsere Produkte klimaneutral und kreislauffähig machen. Denn eines ist klar: Die Zukunft gehört nachhaltigen Produkten.
Haben Sie ein konkretes Beispiel für uns?
Wir haben unser Preventol®-Sortiment um eine neue Serie von industriellen Konservierungsmitteln erweitert, die aus pflanzlichen, zu 100 Prozent erneuerbaren Rohstoffen besteht, die unser Partner Matríca vom Standort Porto Torres (Sardinien) liefert. Für zahlreiche Anwendungen können wir nun innovative Konservierungsmittel entwickeln, die auf nachwachsenden Rohstoffen basieren.
Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Biozide dazu da sind, Produkte zu konservieren. Das verringert die Abfallbelastung und verlängert die Lebensdauer kostbarer Materialien.
Chemikalien sind also auf vielfältige Art und Weise von Nutzen.
Genau. LANXESS ist beispielsweise einer der führenden Hersteller von wasserfreier Flusssäure, Phosphorchemikalien und Thionylchlorid, wichtigen Rohstoffen für Elektrolyten für Lithium-Ionen-Batteriezellen. Unsere synthetischen Eisenoxide dienen als Vorprodukt für Lithium-Eisenphosphat und unsere Ionenaustauscherharze ermöglichen die Raffination und Herstellung von Nickel, Kobalt und Lithium in Batteriequalität als Kathodenmaterial für batterieelektrische Fahrzeuge. Die Immersionskühlflüssigkeiten von LANXESS sind Wegbereiter für schnell ladende Batterien der nächsten Generation und unsere Flammschutzmittel erhöhen die Sicherheit von Autos.

Nachhaltige Rohstoffe sind ein wichtiger Faktor bei der Herstellung klimaneutraler und kreislauffähiger Produkte für das „neue Zeitalter der Nachhaltigkeit“. Was erwartet uns?
Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten, Rohstoffe zu gewinnen:
Zum einen können dem sogenannten biologischen Kreislauf biobasierte Ressourcen entnommen werden, die sich aus in der Natur vorkommenden Molekülen, zum Beispiel Kohlenstoff, zusammensetzen. Ein Beispiel dafür ist Bernsteinsäure, ein Rohstoff, den wir zur Herstellung unserer Polyurethan-Präpolymere der Reihe Adiprene® Green verwenden, und der durch die Fermentation organischer Materialien hergestellt werden kann.
Zum anderen sind da recycelte Ressourcen, die durch die Zerlegung von Produkten in ihre ursprünglichen Bestandteile – manchmal bis auf die molekulare Ebene – hergestellt werden. Diese werden dem technischen Kreislauf entnommen. Hier ist recyceltes Glas, das wir zur mechanischen Verstärkung von technischen Kunststoffen aus unserer Polyamid-Produktreihe Durethan ECO verwenden, ein gutes Beispiel.
Und um „die Kreisläufe am Laufen zu halten“, benötigen wir saubere Energie. Davon hängt es ab, ob wir die Abkehr von herkömmlichen Rohstoffen schaffen! Angesichts der momentanen Situation, insbesondere in der deutschen Energielandschaft, steht uns noch einiges an Arbeit bevor.
Einige Materialien können recycelt oder auf biologischer Basis hergestellt werden. Was ist besser?
Klare Antwort: Das hängt vom jeweiligen Einsatzbereich ab und kann sich zudem im Laufe der Zeit ändern. Grundsätzlich ist es von Vorteil, wenn wir über so viele Optionen wie möglich verfügen, aus denen wir dann wählen können. Die Emissionen müssen schnell gesenkt werden, das ist das Wichtigste. Warum sollten wir warten, bis wir über die Technologie zur Realisierung der „besten Option“ verfügen, wenn wir schon jetzt eine „zweitbeste“ Option haben, die sofort einsatzfähig ist?
Auch ein organisches Molekül, das aus Rohöl in einem Cracker mit Kohlenstoffabscheidung hergestellt wird, hat einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck als ein herkömmlich hergestelltes Produkt und leistet einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz – auch wenn es immer noch als „fossil“ gilt.
Wir bei LANXESS prüfen alle Optionen und sind technologie offen.
LANXESS hat gerade erst das Ziel verkündet, seine Lieferkette bis 2050 klimaneutral zu machen und ab 2050 nur noch klimaneutrale Produkte anzubieten.
... und hier setzen wir auf unsere Rohstoffe, denn nur so können wir dieses ehrgeizige Ziel erreichen. Auf sie entfällt schließlich der größte Teil der Scope-3-Emissionen. In Zukunft werden wir zunehmend nachhaltige Rohstoffe pflanzlichen Ursprungs benötigen und solche, die im Recyclingverfahren und mit erneuerbaren Energien hergestellt werden.
Momentan ist der Markt noch nicht weit genug entwickelt, um diese nachhaltigen Rohstoffe in ausreichender Menge bereitzustellen. Wir haben uns jedoch diesem Kurs verpflichtet. Gemeinsam mit unseren Kunden und Kundinnen und unseren Partnern loten wir Optionen aus und führen Pilotprojekte im Bereich klimaneutraler und kreislaufähiger Produkte durch – und einige dieser Produkte sind bereits im Markt.
Das ist wahnsinnig spannend, da die Karten in gewisser Weise gerade neu gemischt werden. Nur Unternehmen, die diesen Wandel proaktiv angehen, werden bestehen – und wir wollen dazugehören.
Das Ziel von LANXESS für das Jahr 2050: Klimaneutralität in der Lieferkette
