EU-Chemikalienstrategie:
Was ist essenziell?

Ist die Verwendung eines sogenannten besonders besorgnis-erregenden Stoffes essenziell für die Gesundheit und die Sicher-heit bzw. das Funktionieren der Gesellschaft? Nach den Plänen der EU soll diese Frage nicht nur bei Verbraucherprodukten gelten, sondern grundsätzlich bei allen Chemikalien mit gefähr-lichen Eigenschaften. Die Folgen wären weitreichend.
Die chemische Industrie hat ein klares Ziel: Sie will mit ihren Produkten beitragen zu einem besseren Leben in einer nachhaltigen und gesunden Umwelt. Nun macht die EU einen Vorstoß, bestimmte, aus ihrer Sicht schädliche Stoffe zu verbieten. Was sich zunächst vernünftig anhört, hat jedoch weitreichende und für die Gesellschaft eventuell negative Folgen.

Die EU hat Folgendes vor: Stoffe mit bestimmten gefährlichen Eigenschaften will sie als „besonders besorgniserregende Stoffe“ (Substances of Very High Concern, SVHC) einstufen. Dabei handelt es sich um solche, die krebser-zeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend sind, und um Stoffe, die schwer abbaubar sind und sich in lebenden Organismen anreich-ern können. Andere ähnlich besorgniserregende Stoffe sind beispielsweise die sogenannten endokrinen Disruptoren (Stoffe mit schädlicher Wirkung auf das Hormonsystem). Bereits im Oktober 2020 hatte die EU-Kommission angekündigt, dass sie Chemikalien mit SVHC-Eigenschaften zukünftig nur noch in sogenannten essenziellen Verbraucherprodukten erlauben will. Dafür brachte sie das „Essential Use“-Konzept ins Spiel. Bislang wird ein solcher Ansatz auf Stoffe angewendet, die die Ozonschicht schädigen und gemäß internationaler Vereinbarung verboten sind. Die Feststellung, dass eine bestimmte Verwendung essenziell ist, ermöglicht dann eine Weiterverwen-dung in begründeten Ausnahmefällen. Essenziell wird dabei gleichgesetzt mit notwendig für die Gesundheit, die Sicherheit oder das Funktionieren der Gesellschaft (kulturelle, intellektuelle Aspekte), wenn es gleichzeitig keine verfügbare oder praktisch machbare Alternative gibt.
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Die Abkehr vom risikobasierten Ansatz in der Chemikalienstrategie ist problematisch. Ganze Stoffgruppen können pauschal verboten werden.
Klare Einteilung ist schwierig

Auf den ersten Blick erscheint dies schlüssig: Niemand möchte, dass in Alltagsgegenständen gefährliche Chemikalien in größeren Mengen enthalten sind. Die Realität ist jedoch komplexer und lässt sich nicht in Kategorien wie „essenziell“ und „nicht-essenziell“ einteilen. Zwar gibt es eindeutige Fälle wie Medizinprodukte, doch wie soll z.B. mit gefährlichen Chemikalien verfahren werden, die sicher, d.h. ohne der menschlichen Gesundheit oder der Umwelt zu schaden, eingesetzt werden? Dazu gehören etwa chemische Stoffe, die sich in Turbinen für Windkraftanlagen befinden und somit einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung und zur Bekämpfung des Klimawandels leisten. Hinzu kommen individuelle Sichtweisen. Ein bestimmtes Produkt mag für einen Teil der Bevölkerung essenziell sein, während der andere Teil gut darauf verzichten kann.

Es stellt sich daher die Frage, ob eine objektive Definition des Begriffs „Essential Use“ und damit des EU-„Essential Use“-Konzepts überhaupt möglich ist. Die neuesten Pläne der Kommission sehen vor, dass die Prüfung des „Essential Use“ bei jedem Verbot von Chemikalien (bzw. bei der Prüfung einer Ausnahme von einem Verbot) stattfinden soll. Damit wären noch mehr Stoffe betroffen. Besonders problematisch aus Sicht der chemischen Indus-trie ist, dass diese Prüfung als erster Screening-Schritt stattfinden soll. Das heißt, dass die Wesentlichkeit zum Ausschlusskriterium wird – egal, ob der Stoff sicher verwendet wird.

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