Luxusgut Energie

Was 2019 mit internationalen Handelskonflikten begann, erreichte 2022 mit dem russischen Krieg in der Ukraine einen vorläufigen Höhepunkt. Dazwischen lag die Corona-Pandemie mit ihren Lockdowns und gestörten Lieferketten. Jetzt sehen sich Wirtschaft und Verbraucher einer Energiekrise gegenüber, die den Industriestandort Deutschland in seiner Existenz bedroht.

Wer wird es sich auf Dauer noch leisten können, in Deutschland zu produzieren? Für die energieintensive Industrie ist das im Herbst 2022 zur Schicksalsfrage geworden. „Wir haben lange davor gewarnt, dass Produk-tionen stillgelegt werden und Unternehmen ganz aussteigen. Und genau das findet jetzt statt“, sagt Wolfgang Große Entrup, Hauptge-schäftsführer des VCI in der „F.A.Z.“ Auch LANXESS-Vorstandsvorsitzender Matthias Zachert zeichnete in einem Beitrag für das „Handelsblatt“ ein düsteres Bild. „Bleiben die deutschen Energiepreise auf dem derzeitigen Niveau, dann werden wir erleben, dass reihenweise Betriebe in deutschen Schlüsselindustrien schlie-ßen. Und was jetzt an wettbewerbsfähigere Regionen wie die USA verloren geht, wird nicht zurückkommen.“ 

Überfällige Gaspreisbremse

Insofern war die jetzt beschlossene Abschaffung der geplanten Gasumlage und die Einführung einer Gaspreisbremse überfällig. Entscheidend ist nun die schnelle Umsetzung der Maßnahmen. Denn die Zeit drängt. So bezahlen Unternehmen in den USA aktuell nur ein Achtel des deutschen Gaspreises – und haben allein dadurch einen enormen Wett-bewerbsvorteil. Nicht wieder-holen dürfen sich die Preise vom August. Da kostete an der niederländischen TTF-Börse eine Megawattstunde (MWh) Erdgas 346 Euro. Ein absoluter Rekordpreis und eine Steigerung um mehr als 1.000 Prozent innerhalb der vergangenen 12 Monate. Der Kurs fiel zwar wieder, doch mit 100 Euro pro Megawattstunde liegt der Gaspreis weit über der 40-Euro-Marke, die im August 2021 noch Standard war. Insofern war die Gaspreisbremse dringend notwendig: Gerade für die chemische Industrie, die Gas nicht nur als Energieträger, sondern auch als Rohstoff benötigt, müssen solche Preiskapriolen aufhören. Energie darf nicht zum Luxusgut werden. 

Grafik der Energiepreise politiX operations graphic
Quelle: VCI Mitgliederbefragung
Die Preise steigen, die Produktion fällt

Denn die dramatischen Entwicklungen an den Energiemärkten haben Fol-gen. So korrigierte der VCI seine Jahresprognose bereits nach unten und rechnet mit einem 5,5-prozentigen Produktionsrückgang in der Chemie- und Pharma-Branche. Für Chemieprodukte geht der Verband sogar von einem Minus von 8,5 Prozent aus. Nicht nur der Gaspreis ist aus dem Ruder gelau-fen, sondern auch der daran gekoppelte Strompreis. So kostete im Septem-ber eine Megawattstunde Strom im Day-Ahead-Markt zwischenzeitlich mehr als 500 Euro. Ein Jahr zuvor lag der Preis noch bei 90 Euro. Für Unterneh-men wie LANXESS, die an der Börse Strom zukaufen, hat das enorme Aus-wirkungen. Diese zusätzlichen Kosten waren nicht kalkuliert und können so schwerlich weitergegeben werden. Das gelingt nur in den wenigsten Fällen. Wollen Unternehmen nun Lieferverträge abschließen, sehen sie sich einem Preisniveau gegenüber, das ihre Existenz bedroht. Auch hier sind Maßnah-men dringend gefordert. 

Industrie braucht Entlastung

Deutschland steht am Scheideweg. Soll die De-Industrialisierung der viert-größten Volkswirtschaft der Welt verhindert werden, müssen jetzt schnell und pragmatisch die richtigen Entscheidungen getroffen werden. Darauf zielen die drei Kernforderungen von LANXESS an die Politik (s. Seite 7). Das heißt: Die Industrie muss deutlich entlastet werden – nicht nur bei den Energie-kosten, sondern auch, was Vorgaben des Bundes und der EU betrifft. „Es ist unverständlich, dass in einer Situation hoher wirtschaftlicher Anspannung die regulatorischen Daumenschrauben weiter massiv an-gezogen werden“, sagt Matthias Zachert. Die Industrie stehe hinter dem Ziel, die Wirtschaft und Ge-sellschaft zu transformieren und nachhaltig aufzustellen. In vielen Bereichen sei die Industrie hier sogar internationaler Technologieführer. „Aber“, so das klare Fazit des LANXESS-Vorstandsvorsitzenden, „sie kann beim besten Willen kaum Schritt halten mit dem Tempo, in dem bürokratische Auflagen und Umweltvorgaben verschärft werden.“
 
Börsenstrompreise Grafik politiX
Quelle: EEX, EPEX, Spot VCI
Gaspreise politiX
Quelle: Worldbank, EEX, VCI

DIE POLITIK IST GEFORDERT!

Die Uhr tickt! Die Forderungen von LANXESS sind klar und im Sinne des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Die Politik muss jetzt handeln und das Richtige tun.

Strom- und Gaspreisbremse

Die Gaspreisbremse ist ein wichtiger erster Schritt, der Verbraucher und Industrie entlastet. Die Deckelung des Gaspreises auf 70 €/MWh sollte aber auch für Industrieunternehmen gelten, die ihr Erdgas direkt an der Börse beziehen. Ebenso sollten Gas-Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen vom Gaspreis-deckel profitieren, da diese den für die chemischen Prozesse benötigten Dampf und Strom in effizienter Weise erzeugen. Der zweite Schritt zur Sicher-ung des Industriestandorts ist eine Strompreisbremse, die analog umgesetzt werden muss.

Alle Kraftwerke ans Netz

Um die Energiepreise in den Griff zu bekommen und die Märkte zu beruhigen, muss das Angebot erweitert werden. Das ist die Voraussetzung, damit die Preise sinken. Konkret bedeutet das: alle Kraft-werke zurück ans Netz. Ein erster richtiger Schritt ist, dass Isar 2 in Bayern, Neckarwestheim in Baden-Württemberg und Emsland in Niedersachsen bis 15. April 2023 weiterlaufen sollen. Auch die Ausstiege für Kohlekraftwerke müssen je nach Lage überdacht und der Ausbau der erneuerbaren Energien weiter mit Hochdruck vorangetrieben werden. Staatliche Energiekosten-bestandteile müssen zurückgefahren werden. Das bedeutet: Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß senken, nationale CO2-Bepreisung aussetzen.

Mehr Tempo, weniger Bürokratie 

Wie schnell pragmatische Entscheidungen gefällt und Genehmigun¬gen erteilt werden können, zeigt sich am Beispiel der LNG-Terminals. Bereits zum Jahresende nimmt der erste Terminal den Betrieb auf und entlastet die Ener-gieversorgung in Deutschland. Ein solches Tempo und solcher Pragmatis-mus sind nicht nur bei den aktuellen Anträgen zum Fuel Switch nötig, sondern auch bei grundsätzlichen Genehmigungsverfahren. Unternehmen, die durch Investitionen ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, werden ausge-bremst. Planungs-und Genehmigungsverfahren müssen verpflichtend inner-halb eines Jahres umgesetzt sein.

Für die EU-Regularien rund um den Green Deal gilt: Angesichts der aktuellen Energiekrise braucht die Industrie dringend ein Belastungsmoratorium. Konkret heißt das:

  • keine weiteren Verschärfungen der Chemikalienstrategie. LANXESS begrüßt daher, dass die EU-Kommission die Reach-Revision auf Ende 2023 verschoben hat. Dies verschafft den Unternehmen die dringend nötige Atempause,
  • kein CO2-Grenzausgleichsmechanismus. Die Wettbewerbsfähigkeit muss erhalten bleiben.
Bilanzpressekonferenz für das Jahr 2020 in KölnLANXESS
Matthias Zachert, Vorstandsvorsitzender LANXESS
›› Jetzt geht es darum, pragmatisch und ideologiefrei das Richtige zu tun – und das Richtige schnell zu tun. Die dramatische Kehrtwende in der Energiepolitik zeigt, dass mehr geht, als wir uns selbst zugetraut hätten. Über den Ausbau der Energieinfrastruktur wird nicht länger nur diskutiert, sie nimmt endlich Fahrt auf. Die Hürden für den Zubau von Erneuerbare-Energien-Kapazitäten werden niedriger. Und LNG-Terminals werden in Rekordzeit genehmigt und gebaut. Das ist Entbürokratisierung, wie sie die Industrie seit langem fordert. Sie sollte nicht nur im Energiebereich, sondern auf breiter Front auch in Europa stattfinden. ‹‹

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