›› DIE INDUSTRIE-POLITIK HAT AN BEDEUTUNG STARK GEWONNEN ‹‹

Der Countdown zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen läuft. Die Industrie schaut mit Spannung auf diesen wichtigen Termin. Im politiX-Interview zieht Hans-Jürgen Mittelstaedt, Geschäfts-führer des VCI NRW, Bilanz und sagt, welche Rahmenbeding-ungen die chemische Industrie jetzt braucht.

Was sind aus Sicht des VCI NRW die wichtigsten Themen in NRW?

Mittelstaedt: Das ist ganz klar die Transformation zu einer zirkulären und treibhausgasneutralen Lebens- und Wirtschaftsweise. Sie stellt gerade für NRW als Industrieland Nummer 1 eine zentrale Herausforderung dar. Doch sie kann nur mit einer starken Industrie und den dafür notwendigen Rahmen-bedingungen gelingen. Ins Zentrum rückt dabei die sichere Versorgung mit ausreichend grüner Energie. Allein eine künftig klimaneutrale Chemie wird mehr grünen Strom benötigen als Deutschland heute insgesamt verbraucht. Wir müssen in NRW und auch aus NRW heraus diesen Weg zu einer sicheren klimaneutralen Stromversorgung zu bezahlbaren Preisen aktiv mitgestalten. Bis zum ersten Zwischenziel im Jahr 2030 haben wir nur noch knapp acht Jahre Zeit. Die Umsetzung darf nicht von dogmatischen Vorstel-lungen geleitet sein, sondern braucht viel Pragmatismus und kann nur gemeinsam gelingen.

Was wurde bislang erreicht?

In den letzten Jahren hat die Industriepolitik stark an Bedeutung gewonnen. So sind die industriepolitischen Leitlinien der Vorgängerregierung von der aktuellen Landesregierung zu einem Leitbild weiterentwickelt worden. Dieses Leitbild gibt für alle Fachministerien einen Rahmen vor, der aufzeigt, wie sich unser Industriestandort in NRW gleichsam zukunftsfest und nachhaltig weiterentwickeln soll. Dieses Grundverständnis wurde durch weitere Stra-tegien zu zentralen Handlungsfeldern unterfüttert. Zu nennen sind hier eine Landesstrategie zur Sicherstellung der künftigen Energieversorgung, die NRW-Roadmap zur Entwicklung einer für die Chemie wichtigen Wasserstoff-wirtschaft oder die europaweit einmalige Carbon-Management-Strategie. Sie setzt sich mit der Frage auseinander, wie Kohlenstoff in einem klimaneutralen Industriestandort genutzt werden kann. Diese Strategien bilden die Grund-lage dafür, dass wir die Transformationswege so erfolgreich wie möglich gestalten können. Jetzt geht es darum, dies ohne Verzögerungen umzu-setzen.

Hans-Jürgen Mittelstaedt

Als Wirtschafts- und Chemiestandort setzt NRW Maßstäbe. Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 697,13 Mrd. Euro (2020) steht das Bundesland in Deutschland an der Spitze. Gemessen an der Wirtschaftsleistung liegt NRW vor der Schweiz, Schweden, Polen und Belgien. Das liegt vor allem an der Chemie. Von den zehn umsatzstärksten deutschen Chemieunternehmen haben fünf ihren Sitz in NRW. EU-weit liegt der Chemiestandort NRW in Bezug auf seinen Umsatz auf Rang 5 und weltweit auf Rang 14.

Wo gibt es Nachholbedarf?

Die Transformation wird zu zusätzlichen Planungs- und Genehmigungs-verfahren führen. In beiden Bereichen müssen wir deutlich schneller werden, um die Klimaziele erreichen zu können. Konkret brauchen wir Genehmi-gungsverfahren, die zu der aktuellen und künftig noch deutlich zunehmen-den Veränderungsdynamik passen. So muss es etwa möglich sein, bei einer dynamischeren Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft die dann dringend benötigten Wasserstoffpipelines schneller in Betrieb zu nehmen. Die derzeit benötigten üblichen sieben Jahre sind einfach zu viel. Schaffen wir dies nicht, wird die Transformation scheitern.

Wie sieht Ihre Bilanz bei der Digitalisierung und Infrastruktur aus?

Hier wurde schon einiges in Angriff genommen. So ist die Digitalisierung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren ein wichtiger Baustein. Er beschleunigt Verfahren und entlastet die sowieso schon knappen per-sonellen Ressourcen. NRW hat sich bei der Digitalisierung behördlicher Leistungen bundesweit eine Spitzenposition erarbeitet. Dieses Wissen muss jetzt schnellstmöglich dafür genutzt werden, um auch die Fachverfahren zur Zulassung von Industrieanlagen und die Planung von Infrastrukturen zu digitalisieren. Wir benötigen zudem Reallabore: In ihnen könnten neue Technologien und Verfahren ohne großen bürokratischen Aufwand erprobt und pilotiert werden. Als letzte „Baustelle“ möchte ich die Verkehrsinfra-struktur nennen. Hier gilt es, das Infrastrukturnetz im Bereich Straße, Schiene und Wasserstraße bestmöglich zukunftsfähig zu machen. Dort ist in den vergangenen Jahren bereits vieles geschehen, aber – und das spürt jede Bürgerin und jeder Bürger tagtäglich – es bleibt noch viel zu tun.

Was erwartet der VCI NRW konkret von einer neuen Landesregierung?

Wir benötigen jetzt maximales Tempo für eine Politik, die Planungssicherheit bietet, unnötige bürokratische Hemmnisse abbaut, Digitalisierung und Infrastruktur optimiert und Innovationen, wo immer möglich, fördert statt behindert. Denn nur so werden wir die Bausteine Klimaschutz, Wohlstand und Wachstum dauerhaft zu einer festen Erfolgsformel verbinden.

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