Digitalisierung als Gamechanger im Klimaschutz
Digitalisierungsexperten schwingen vielleicht seltener Transparente fürs Klima, doch ist ihr Beitrag für eine CO2-neutrale Produktion oft entscheidend. Sie analysieren Bits und Bytes, entwickeln intelligente Analysetools und andere Software und haben dabei im Produktionsbereich ein großes Ziel vor Augen: Optimierte Anlagen, die mit minimalem Energie- und Rohstoffeinsatz maximalen Output generieren. Damit sind sie die wahren Gretas: Denn mit innovativen Technologien, die sich oft erst aus dem neugewonnenen Wissen der digitalisierten Anlagen entwickeln lassen, ist Klimaschutz in der Industrie in ganz neuem Ausmaß möglich. Die Digitalisierung ist hier nicht nur ein Element auf dem Weg zur klimaneutralen Produktion, sie könnte der Gamechanger werden. Denn mit ihr kommt alles ans Licht – und auf den Prüfstein: die geringste Temperaturschwankung, der kleinste Span an Abfall bis hin zum unsichtbaren Tröpfchen Dampf. Alles bringen die Analysten auf den Tisch, die Ingenieure und Anlagenfahrer stürzen sich begeistert auf diese neuen Erkenntnisse – und werden aktiv: Sie bauen Anlagen um, senken Temperaturen, nutzen die sich neu auftuenden Energiequellen. Beide Seiten greifen perfekt ineinander. Was sich wie Zukunftsmusik anhört, passiert schon jetzt – auch und gerade bei LANXESS. „Wir sind auf dem richtigen Weg, doch bis zum Ziel müssen wir noch ein paar Hügel hoch“, sagt Jörg Hellwig, Chief Digital Officer.
„Wir müssen unseren Datenschatz heben“
Jörg Hellwig,
Chief Digital Officer
Die umfassende Digitalisierung aller Prozesse sei eben eine anspruchsvolle Bergtour und kein Sonntagsspaziergang, sagt Hellwig. „Daten allein sind erst mal wertlos. Sie entwickeln von allein keine Ideen“, führt er aus. Sie seien oftmals bei LANXESS schon seit Jahrzehnten gesammelt worden. „Wir müssen jetzt unseren Datenschatz heben. Erst wenn wir mit den großen Datenmengen arbeiten können, sie verstehen und analysieren, können wir ihr Potenzial auch voll ausschöpfen.“ Produktionsanlagen und Lieferketten ließen sich dann ganz neu denken, Einsparpotenziale (Emissionen und Kosten) – so zeige es sich schon heute – täten sich auf, wo sie trotz jahrelanger analoger Arbeit nicht mehr vermutet wurden.
Datencheck sorgt für weniger Treibhausgase
Ein innovatives Beispiel dafür zeigt sich in der Phosphoranlage im Leverkusener Werk von LANXESS. Sie war bereits weitgehend automatisiert, aber eben nicht digitalisiert. Daten flossen in Strömen. Wie eine Krake griff das interne Programm OSIsoftPI die Daten ab. Einziger Wermutstropfen: Die Krake erfreute sich am Besitz, sie interpretierte nichts. Doch Dr. Sebastian Recker aus dem Bereich Global Technology and Innovation bei LANXESS hatte eine Lösung parat: Er nutzte sein profundes Wissen über GAMS, einer Modellierungssprache für mathematische Optimierungsprobleme und entwickelte eine Software, die diese Daten interpretieren kann. Doch wer ist schon in der Lage, die Sprache einer ausgefeilten mathematischen Software zu lesen? „Jeder Anlagenfahrer in unserem Betrieb“, freut sich Betriebsleiter Dr. Peter Karbaum. Denn das ist der Clou des Ganzen: Die Darstellung der Daten erfolgt im Standardtool von OSIsoft: in „PI Vision“. Dieses Tool ist in fast allen LANXESS-Betrieben weltweit etabliert. Die Software checkt nun stündlich, ob die Anlage optimal läuft, macht die Abläufe auf den Überwachungsmonitoren sichtbar. „Wir sehen nun Dinge, die zuvor verborgen waren“, sagt Karbaum. Schon bald nach Inbetriebnahme entdeckten die Mitarbeiter, dass der Dampfverbrauch in einigen Teilen der Anlage zu hoch war. Er kostete Geld und Energie und belastete die Klimabilanz. In kürzester Zeit wurde der Dampfbedarf optimal an die Produktion angepasst.Das Ergebnis dank dieser Digitalisierung: Pro Stunde spart der Betrieb nun rund 600 Kilogramm Dampf ein und reduziert seine Treibhausgas-Emissionen pro Jahr um etwa 4.000 Tonnen. Der Klimaschutz zahlt sich fürs Unternehmen sogar in barer Münze aus. Die Einsparungen liegen derzeit bei 80.000 bis 100.000 Euro pro Jahr. In Zukunft dürften sie noch deutlich höher ausfallen, schätzt Peter Karbaum. Denn die Anlage fuhr Corona-bedingt längere Zeit nicht unter Volllast.